
Standards statt individueller Anpassung
Die Interessengemeinschaft Business Objects for Energy hat mittlerweile 23 Geschäftsobjekte definiert, die das Zusammenspiel verschiedener Softwaremodule erleichtern.
IT. Die Digitalisierung hält die Energiewirtschaft auf Trab. Die Unternehmen spüren mit schwindenden Erlösen beim Kilowattstundenverkauf einen wachsenden Druck, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und umzusetzen. Die einen haben schon Ideen, wie sie für ihre Kunden Mehrwerte schaffen können, suchen aber noch nach der IT-Lösung, mit der sich die Ideen umsetzen lassen. Die anderen haben die technologische Entwicklung genau im Blick, schauen über den Tellerrand der Energiewirtschaft und suchen für das, was in einer anderen Branche Erfolg verspricht, eine Anwendung im eigenen Marktumfeld.
Egal von welcher Seite man sich der Digitalisierung nähert, es läuft fast immer auf die Implementierung neuer IT-Lösungen hinaus. „Das führt zu heterogenen IT-Systemlandschaften in den Unternehmen“, sagt Friederike Püllen. „Deshalb wird es immer häufiger notwendig, kundenspezifische Schnittstellen zu definieren und zu implementieren“, so die Senior-Beraterin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers im Bereich Risk Assurance Solutions.
Wenn das Laden eines Elektrofahrzeugs abgerechnet wird oder zeitvariable Tarife im Customer Relationship Management hinterlegt werden, müssen Schnittstellen zwischen Softwaremodulen – häufig Produkte unterschiedlicher Anbieter – geschaffen werden. Wie schnell ein IT-System dabei an Komplexität gewinnen kann, rechnet Peter Martin Schroer an einem Beispiel vor: „Wenn vier Module zum Einsatz kommen und jedes mit jedem Informationen austauscht, muss jeder der vier Softwarehersteller drei Schnittstellen ausprägen − und das noch für eine bidirektionale Kommunikation.“ In der betrieblichen Praxis müssten in der Regel jedoch deutlich mehr Module in einem Unternehmen zusammenspielen, sodass der Abstimmungsaufwand noch erheblich größer sei, erklärt der Geschäftsführer des Software- und Datendienstleisters „ene’t“.
Normierte Datenobjekte für besseren Informationsfluss
Schroer warnt davor, diesen Aufwand auf die leichte Schulter zu nehmen. Schnell könne sich die Situation zu einem unübersichtlichen Schnittstellenwust entwickeln, der enorme Ressourcen für die jeweiligen Abstimmungs- und Anpassungsmaßnahmen verschlingt. Um Abhilfe zu schaffen, haben elf Unternehmen vor genau zwei Jahren die gemeinnützige Interessengemeinschaft Geschäftsobjekte Energiewirtschaft gegründet. Schroer ist Vorsitzender des eingetragenen Vereins.
„Gemeinsamer Standard statt individueller Schnittstellen“ steht auf dessen Internetseite. Mittlerweile engagieren sich 15 Mitgliedsunternehmen für die Entwicklung sogenannter Business Objects for Energy. Diese sollen als normierte Datenobjekte den Informationsfluss zwischen verschiedenen Softwareanwendungen vereinheitlichen und eine automatisierte Kommunikation zwischen den Marktakteuren ermöglichen. Um die Probleme, die auftreten können, zu verdeutlichen, verweist Schroer auf das Beispiel der Datumsangabe: „Es gibt dafür so viele verschiedene Möglichkeiten.“ Die eine Software stelle ein Datum mit Jahr, Monat und Tag dar, die andere in der umgekehrten Reihenfolge und eine dritte wieder anders.
Insgesamt 23 Geschäftsobjekte sind bislang definiert, dazu gehören eine Marktlokation, eine Rechnung, ein Angebot oder auch Kosten. Letztere sollen beispielsweise normiert werden, um sie von der Beschaffung an den Vertrieb weitergeben zu können, der dann den Verkaufspreis bestimmt. Letztlich geht es um hierarchische Kostenstrukturen – eben alles, was in die Kalkulation eines Endkundenpreises einfließt. „Das kann am Ende neben der Konzessionsabgabe und dem Netzentgelt auch ein Faktor sein, der noch die Wettbewerbssituation in dieser Region berücksichtigt“, betont Schroer.
Enet selbst hat einen sogenannten prozessorientierten Navigator entwickelt, eine Software, die den Austausch der Daten zwischen den einzelnen Softwaremodulen sicherstellt. Denn im Idealfall legt das eine Modul, etwa die Rechnungsprüfung, die Daten in einem Pool ab, aus dem sie sich dann das Customer Relationship Management wieder holt. „Nur so können wir die Unabhängigkeit von einzelnen IT-Lösungen erreichen“, erklärt Schroer. Die Steuerungssoftware – der Navigator – soll die Verbindung zwischen beiden Anwendungen herstellen.
Die Rückmeldungen aus dem Markt auf die Initiative der Interessengemeinschaft Geschäftsobjekte Energiewirtschaft sind laut Schroer sehr positiv. „Viele Unternehmen erkennen, dass ein übergeordneter Ansatz notwendig ist, um das Problem bei den Wurzeln zu packen“, berichtet der Vereinsvorsitzende. Selbst bei den IT-Anbietern, die sich eigentlich abschotten könnten, sei die Bereitschaft groß, an der Entwicklung herstellerunabhängiger Datenstandards mitzuarbeiten.
„Die Softwarehäuser könnten ja auch davon ausgehen, dass ihre Kunden alle Anwendungen aus einer Hand nehmen und sich nicht weiter um die Schnittstellenproblematik scheren“, gibt Schroer zu bedenken. Einige wenige tun dies seiner Erfahrung nach auch. Eine solche Position werde allerdings schon kurzfristig nicht mehr haltbar sein. Denn die Bandbreite der Tätigkeitsfelder von Energieversorgern werde bald zu groß sein, als dass ein einzelner Anbieter für alle denkbaren Anwendungen eine IT-Lösung parat haben könnte. Deshalb sei bei einer ganzen Reihe von Softwarehäusern auch das Interesse durchaus vorhanden, mit anderen im Rahmen der Interessengemeinschaft zu kooperieren.
Wenig Engagement der Energieversorger
Überrascht ist Schroer allerdings von der Zurückhaltung derer, die von einer Vereinheitlichung der Schnittstellen am meisten profitieren: die Energieversorger. „Sie sehen den Nutzen, den die einheitlichen Geschäftsobjekte bringen, erklären aber meist, dass sie sich im Tagesgeschäft mit anderen Problemen beschäftigen müssten“, so der Enet-Geschäftsführer. Zu einer Mitarbeit im Rahmen der Interessengemeinschaft konnte sich bislang noch kein Stadtwerk, Regionalversorger oder Großkonzern durchringen.
PWC-Beraterin Friederike Püllen ordnet die fehlende Motivation der Energieversorger in ein größeres Bild ein. Die Transformation und Integration einer IT-Landschaft müssen immer auf Basis einer IT-Strategie erfolgen. Für ein solches Prozessmodell könnten die Business Objects for Energy eine große Hilfe sein. „Aber dazu muss es erst einmal eine umfassende IT-Strategie geben“, sagt Püllen. Ihrer Erfahrung nach sei es vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmen noch keineswegs selbstverständlich, dass die Herausforderungen, die im Zuge der Digitalisierung auf sie zukommen, vollständig in den Planungen berücksichtigt seien.
FRITZ WILHELM © 2018 by Energie & Management Verlagsgesellschaft mbH